Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mit über 1.200 meist zivilen Opfern und mehreren Hundert in den Gaza-Streifen verschleppten Geiseln hat zunächst weltweit Entsetzen und breite Solidarität mit Israel ausgelöst. Das Recht auf Selbstverteidigung Israels wurde weithin akzeptiert. Allerdings hat Israels Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen auch eine Welle der Solidarisierung bis hin zu mehr oder weniger offener Rechtfertigung der Hamas-Angriffe hervorgerufen.
Der Konflikt hatte unmittelbare Auswirkungen in Europa und Deutschland. Auch in Bayern wurde und wird an Schulen, in sozialen Netzwerken und auf den Straßen kontrovers diskutiert und demonstriert, bis hin zu aggressiven Auseinandersetzungen. Jüdinnen und Juden in Bayern und Deutschland erleben einmal mehr, dass sie für die Situation im Nahen Osten in Haftung genommen werden, während viele von ihnen um Verwandte und Freunde bangen oder trauern.
Der Antisemitismusbeauftragte Dr. Spaenle hat im November 2023 konkrete Maßnahmen benannt, mit denen sich Solidarität mit Israel praktisch umsetzen, Antisemitismus bekämpfen und jüdisches Leben in Bayern und Deutschland schützen lässt. Einige wurden mittlerweile umgesetzt.
Im folgenden seien die 10 Punkte noch einmal dokumentiert.
1. Verankerung des Staatsziels „Schutz jüdischen Lebens und Bekämpfung des Antisemitismus“ in der Bayerischen Verfassung und im Grundgesetz
a) In der Bayerischen Verfassung sollte wie in anderen Landesverfassungen der Schutz jüdischen Lebens und der Kampf gegen Antisemitismus als Verfassungsziel fixiert werden.
b) Neben den Landesverfassungen sollte der Schutz jüdischen Lebens und der Kampf gegen Antisemitismus auch im Grundgesetz verankert werden.
2. Deutschlandinitiative für Israelis: Psychisch und physisch Verletzten sollte ein Deutschlandaufenthalt angeboten werden, als Erholungs- und Rückzugsraum. Ausnahmsweise sollten zur Unterstützung Israels in der jetzigen Situation auch reguläre Mittel für den Jugendaustausch verwendet werden können, etwa für einseitige Fahrten von Israel nach Bayern/Deutschland, ohne dass ein Gegenbesuch derzeit absehbar und planbar ist. Das wäre eine konkrete Hilfe und ein praktisches Zeichen der Solidarität mit Israel. Einzelne Verbände, Schulen etc. haben dem Beauftragten bereits ihr großes Interesse an derartigen Hilfsangeboten bekundet.
Ausbau des Deutsch-Israelischen Jugendwerks: Das Deutsch-Israelische Jugendwerk, das sich gegenwärtig im Aufbau befindet, sollte finanziell deutlich besser ausgestattet werden und damit in den Stand versetzt werden, den Austausch zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen effizienter und umfassender zu organisieren.
3. Einrichtung von interministeriellen Arbeitsgruppen auf Länderebene
Bayern hat 2021 eine Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) zur Erarbeitung und Umsetzung eines bayerischen Gesamtkonzepts „Jüdisches Leben und Bekämpfung des Antisemitismus“ eingerichtet. Dies empfehlen wir auch den anderen Bundesländern: In der institutionalisierten Arbeitsgruppe unter Federführung des Kultusministeriums können alle Aspekte zur staatlichen Förderung jüdischen Lebens und zur Bekämpfung des Antisemitismus gebündelt werden. Die staatliche Seite kann damit auch die Kooperation mit der Zivilgesellschaft über ressortbezogene und punktuelle Projekte hinaus in einen Gesamtrahmen stellen, der eine langfristige Umsetzung von Konzepten mit konstanter Evaluation und Anpassung auf neue Situationen ermöglicht. Dank der Schaffung entsprechender Strukturen konnte in Bayern auf die Folgen des 7. Oktobers schnell reagiert werden.
Zu einem Gesamtkonzept gehört auch ein Kooperationsabkommen mit Yad Vashem: Die Bayerische Staatsregierung hat ein umfassendes Kooperationsabkommen aller Ministerien, nachgeordneten Behörden etc. mit Yad Vashem vorbereitet, das den Austausch, die Schulung etc. von vielen Berufsgruppen und Multiplikatoren (weit über den bisher schon bestehenden Austausch im Bildungsbereich hinaus) vorsieht. Dieses Abkommen könnte schnell unterzeichnet und der Austausch organisiert werden.
4. Deutschlandweite Umsetzung der bayerischen IHRA-Strategie: Auf Empfehlung des Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe haben die bayerische Staatsregierung und die kommunalen Spitzenverbände, sowie über 80 Verbände, Vereine, Kirchen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften, Kirchen und NGOs die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) angenommen. Dies bot die Gelegenheit für eine breite Diskussion mit (Führungs-) Gremien und einfachen Mitgliedern der genannten Organisationen über jüdisches Leben, Antisemitismus, Israel today – ohne einen negativen Anlass. Sie soll zu einer Grundlage ihres Handelns werden.
Die Definition klärt, welche Handlungen und Haltungen antisemitisch sind, und anhand von Beispielen insbesondere, welche Haltung zu Israel vertretbar ist und wo vermeintliche „Israelkritik“ ein Deckmantel für antisemitische Ansichten ist.
5. Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Gemeinden und Institutionen: Die Leistungen der Sicherheitskräfte in den Bundesländern verdienen in höchstem Maße Anerkennung. Wie in Bayern bereits geschehen, müssen angesichts der aktuellen Lage die Sicherheitsmaßnahmen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. In Anbetracht der angespannten Personallage der Polizei sollten den jüdischen Gemeinden/Institutionen Mittel bereitgestellt werden, damit diese (ggf. auch kurzfristig) zusätzliches Sicherheitspersonal beschäftigen können. Die kostenintensive Beschäftigung von Sicherheitspersonal ist ohnehin vonnöten, da die Polizei kein Hausrecht in den Liegenschaften der Gemeinden und Institutionen hat.
6. Paten- und Partnerschaften für israelische Gemeinden und Einrichtungen: Neben dem Ausbau von Städtepartnerschaften könnten große deutsche NGOs (Rotes Kreuz, Feuerwehren, THW, Wohlfahrtsverbände, Handwerk, berufsständische Vereinigungen, Kammern etc.) Partnerschaften mit israelischen Organisationen aufbauen. In vielen Fällen gibt es bereits langjährige Zusammenarbeit zwischen den Organisationen, so dass Bayern und Deutschland hier eine umfängliche Unterstützung und Zusammenarbeit anbieten können.
Für Bayern kann dafür das Büro des Freistaats Bayern für Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie, Bildung und Jugendaustausch, das im Dezember 2017 in Tel Aviv eröffnet wurde, noch stärker als bisher Unterstützung leisten und die strategische Zusammenarbeit zwischen Israel und Bayern fördern.
7. Klare Stellungnahme der Islamverbände und Förderung interreligiösen Dialogs: Wir fordern die Islam-Verbände in Deutschland auf, sich klar vom Terror der Hamas zu distanzieren und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, v.a. auch mit jüdischen Gemeinden, in den Dialog zu treten. Ein positives Zeichen haben die gegenseitigen Besuche von Imamen und der Jüdischen Gemeinde Köln Ende Oktober 2023 gesetzt. Bewährte Modelle der interreligiösen Zusammenarbeit, der Jugend- und Sozialarbeit (wie das Projekt „Youthbridge“ der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie) müssen verstärkt unterstützt werden.
Ebenso fordern wir dazu auf, von pauschalen Verurteilungen „der Muslime“ abzusehen. Angriffe auf muslimische Bürger und Einrichtungen sind zu verurteilen und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verfolgen.
8. BDS-Bewegung klar als antisemitisch benennen: Wie der Deutsche Bundestag im Mai 2019 könnten die Landesparlamente die Boykottbewegung gegen Israel (BDS: Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) als antisemitisch verurteilen und die vom Bundestag verabschiedeten Beschlüsse übernehmen.
Dazu gehört auch die Umsetzung der dort beschriebenen Maßnahmen. Auf Landes- und kommunaler Ebene sollte etwa die Möglichkeit geschaffen werden, die Vergabe kommunaler Räume an BDS-unterstützende Organisationen zu unterbinden. Vergleichbare eindeutig antisemitische Bewegungen müssen klar identifiziert werden, ihre Betätigung mit rechtlichen Mitteln eingeschränkt werden, wie dies etwa mit dem bundesweiten Verbot des Samidoun-Netzwerks geschehen ist.
Das Ziel muss eine bundesweit eindeutige Positionierung sein, für die auf eine breit fundierte Grundlage zurückgegriffen werden kann (u.a. Publikationen des American Jewish Committee und des Anne-Frank-Zentrums, Gutachten einer Arbeitsgruppe der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten etc.).
9. Kritische Überprüfung und Verbesserung des Wissensstandes zu Israel im Bildungsbereich: Wie Studien u.a. im Auftrag des Zentralrats der Juden zum Israelbild in Schulbüchern zeigen, herrscht sowohl bzgl. der Lehrpläne und Lehrmaterialien wie in den Lehrerbildungsplänen großer Bedarf an besserer Wissensvermittlung zu Antisemitismus, zum Nahostkonflikt sowie zu „Israel today“.
a) Wir schlagen eine konzentrierte Umsetzung der „Gemeinsamen Empfehlung des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten und der Kultusministerkonferenz zum Umgang mit Antisemitismus in der Schule“ (2021) Die Empfehlung benennt nicht nur umfassend praktische Möglichkeiten der Behandlung des Themas Antisemitismus in Unterricht und Schulleben, sondern listet auch zahlreiche Maßnahmen für die Bildungsverwaltung und Bildungspolitik auf, die insbesondere in den Bundesländern umgesetzt werden könnten. Mit der AG Antisemitismus steht ein arbeitendes Gremium aus Fachleuten zur Verfügung, die Hinweise für eine rasche Umsetzung erarbeiten kann.
b) Ein praxisnahes Angebot für den Schulbereich hat das bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus mit der Website „Bayern gegen Antisemitismus“ Sie bietet Hilfe für konkrete „Handlungsräume“– etwa das Klassenzimmer oder das Lehrerzimmer – und darüber hinaus eine Fülle von Hintergrundinformationen und Materialien (https://www.gegen-antisemitismus.bayern.de/).
c) Besonders wichtig sind Bildungs- und Präventionsangebote im außerschulischen Bereich. Träger der Erwachsenenbildung wie die Volkshochschulen, Akademien und andere, sind zentrale Multiplikatoren für Wissen über die Geschichte des Antisemitismus, über jüdisches Leben in Deutschland und über Israel und den Nahen Osten. Auch im Bereich der zivilgesellschaftlichen Organisationen, vor allem im Sportbereich, muss Antisemitismus entschieden bekämpft werden. Das Präventionsprojekt „Zusammen1“ (https://zusammen1.de/) von Makkabi Deutschland, die Vereinsarbeit etwa des FC Bayern München, von Borussia Dortmund oder dem 1. FC Nürnberg als positive Beispiele genannt.
10. Stärkung des Kampfes gegen Antisemitismus im Wissenschaftsbereich – Förderung der Kompetenzen zu jüdischem Leben und zu Israel
a) Unterbindung antisemitischer Veranstaltungen, Unterstützung jüdischer, israelischer und mit Israel solidarischer Studierender
An vielen Hochschulen haben antisemitische Veranstaltungen zugenommen, werden jüdische und israelische Studierende ebenso angegangen wie solche, die sich mit Israel solidarisieren. Daher hat sich die Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten mit drei Forderungen an die Hochschulrektorenkonferenz gewandt:
- in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ordnungsbehörden zu prüfen, wie Rechtsverstöße auf Veranstaltungen unterbunden werden können;
- alles Erforderliche zu unternehmen, um den Schutz jüdischer, israelischer, und sich mit Israel bzw. Jüdinnen und Juden solidarisierenden Studierender zu gewährleisten;
- die Schaffung von Antisemitismusbeauftragten an den Hochschulen zu prüfen
b) Israelkompetenz in Wissenschaft und Forschung stärken: In Bayern und Deutschland sollten bestehende Angebote zu Studium und Vermittlung von Kenntnissen über Israel und den Nahen Osten ausgebaut werden. So sollte das Zentrum für Israel-Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität München in seinem Bestand gesichert werden, was neben Verstetigung von Stellen auch Mittel für Gastprofessuren umfasst. Darüber erscheint der Aufbau weiterer Kapazitäten in Anbetracht der oben geschilderten Umstände dringend geboten.
c) Ausrollen einschlägiger erprobter Angebote
Im Bereich der Lehrerausbildung wird in Würzburg der Erwerb des ZABUS (Zertifikat der Antisemitismuskritischen Bildung in Unterricht und Schule, Julius-Maximilians-Universität Würzburg) angeboten. Zahlreiche Universitäten, auch außerhalb Bayerns, haben bereits Interesse geäußert.
An potentiell alle Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb wendet sich das ZIM (Zertifikat Interreligiöse Mediation, Universität Augsburg), das im Rahmen eines Erweiterungsstudiengangs erworben werden kann.
Beide Projekte haben Inhalte erarbeitet, die mit überschaubarem personellem Aufwand flächendeckend angeboten werden können. Deshalb plädieren wir für eine entsprechende gesicherte Förderung dieser Projekte.
d) Einrichtung weiterer wissenschaftlicher Formate: Mit Plattformen wie etwa Forschungsverbünden, Sonderforschungsbereichen, kann die wissenschaftliche Befassung mit jüdischem Leben und Antisemitismus vertieft werden. Ein Beispiel liefert das Forschungsnetzwerk „Antisemitismus im 21. Jahrhundert“ (https://www.fona21.org/).