„Kommentar am Regensburger Dom ordnet judenfeindliche Darstellung ein“
REGENSBURG. Der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Dr. Ludwig Spaenle, hat heute gemeinsam mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Regensburg, Ilse Danziger, in Regensburg die Ergebnisse des Runden Tischs zum verantwortlichen Umgang mit einer mittelalterlichen judenfeindlichen Darstellung am Regensburger Dom vorgestellt. Vertreter von Staat, jüdischer Gemeinde und katholischer Kirche, sowie der staatlichen Bauverwaltung und der Denkmalpflege haben sich auf ein Vorgehen verständigt.
Antisemitismusbeauftragter Dr. Spaenle betonte dabei: „Darstellungen des Judenhasses dürfen nicht unkommentiert stehen bleiben, wir müssen einen grundsätzlich bewussten und verantwortungsvollen Umgang damit finden. Sie sollen deshalb auch nicht in einer Art von Bilderstürmerei beseitigt werden. Denn sie sind zugleich Erinnerungsorte für dramatische Vorstellungen vergangener Zeiten.“
Ilse Danziger von der Jüdischen Gemeinde sagte: „Heute ist Antisemitismus leider wieder überall präsent und auch wieder salonfähig geworden. Wir sehen es daher als wichtig an, auf jede Art von Judenfeindlichkeit und Hass hinzuweisen. Aus diesem Grund sind wir dagegen, die Schmähplastik einfach zu entfernen. Sie ist ein Teil der Regensburger Geschichte und soll sichtbar und deutlich gezeigt, aber auch kommentiert werden. Professorin Dr. Eva Haverkamp-Rott hat in Abstimmung mit Antisemitismusbeauftragten Dr. Spaenle einen sehr guten Text für eine Hinweistafel erstellt und wir hoffen durch diese Sichtbarmachung und Kommentierung, dass Menschen feinfühlig und hellhörig bei Antisemitismus werden.“
Ergebnisse des lokales Runden Tischs zum Vorgehen mit der judenfeindlichen Darstellung am Regensburger Dom:
- Ein Textkommentar, der gemeinsam mit Prof. Dr. Eva Haverkamp-Rott von der LMU erstellt wurde, wird zur Erklärung und Einordnung der „Judensau“ am Regensburger Dom sichtbar angebracht. Der Text lautet:
„,Judensau‘ – Darstellungen sind zu Stein gewordener Antisemitismus.
Das Motiv findet sich ab dem 13. Jahrhundert fast nur im deutschen Sprachraum. Obwohl das Schwein im Judentum als unrein gilt, wurde fälschlich behauptet, dass Juden wie Ferkel an einer Sau saugen. Diese Darstellung wollte Ekel und Verachtung gegenüber Jüdinnen und Juden hervorrufen und das Judentum angreifen. In der christlichen Kunst verkörpert das Schwein vor allem den Teufel. Behauptet wurde daher, dass Jüdinnen und Juden mit dem Teufel im Bunde seien, von ihm „genährt“ würden und seine Lehren aufnähmen. Diese Skulptur am Dom wurde im 14. Jahrhundert gegenüber dem jüdischen Wohnviertel angebracht. Sie zeigt Männer, die an den Zitzen einer Sau saugen und ihr ins Ohr sprechen. Die Männer sind durch „Judenhüte“ als Juden gekennzeichnet. Mit dieser menschenverachtenden Propaganda wurden Jüdinnen und Juden zu Feinden des Christentums erklärt. So wurde über Jahrhunderte Hass gegen sie
geschürt. Ausgrenzung, Verfolgung bis hin zum Mord waren die Folge.
Heute soll diese Skulptur alle Menschen mahnen, gegen jede Form von Propaganda, Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus vorzugehen.“
- Der Kommentar wird in Deutsch wie in Englisch am Dom angebracht werden. Die Umsetzung erfolgt über das Staatliche Bauamt.
- Der Kommentar dient als Grundlage für ein mögliches Vorgehen an anderen historischen Orten, an denen die sog. „Judensau“ oder andere judenfeindliche Darstellungen zu sehen sind.
- Erweiterte Informationen werden auf der Homepage des Bayerischen Antisemitismusbeauftragten veröffentlicht werden.
- Über weitere Informationsmöglichkeiten wird nachgedacht, etwa in der Form von Flyern, in der Ausbildung von Dom- und Tourismusführern/innen usw.
Mit diesem Vorgehen hoffen Dr. Spaenle und Ilse Danziger einen wichtigen Schritt zu einem verantwortlichen Umgehen mit historischen judenfeindlichen Darstellungen initiiert zu haben.
Der Antisemitismusbeauftragte und die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Regensburg dankten in diesem Zusammenhang auch dem Staatlichen Bauamt Regensburg und seinem Leiter Karl Stock. Das Bauamt wird in Absprache mit allen Beteiligten Entwürfe für die Texttafeln liefern. Es hat auch die Abstimmung mit der Diözese und dem Landesamt für Denkmalpflege übernommen und eine englische Übersetzung des Tafeltextes anfertigen lassen. Laut Dr. Spaenle zeigt dies die hohe Sensibilität der staatlichen Bauverwaltung, die für den Freistaat als Eigentümer des Doms tätig ist.
Die Debatte in Regensburg erfolgte parallel zu den Beratungen eines Rundes Tisches im Freistaat Bayern, zu dem Dr. Spaenle eingeladen hatte. Der Kreis der Beteiligten war noch etwas breiter gefasst und umfasst u. a. den Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden, die Staatliche Schlösser- und Seenverwaltung, das Landesamt für Denkmalpflege, das Kultusministerium, die Bauverwaltung, die katholische und evangelische Kirche.
Im Dezember 2020 konnten wir als Konsens des Runden Tischs auf Bayernebene folgende Ergebnisse vorlegen:
- Die antijüdische Darstellung soll aus dem baulichen Kontext nicht entfernt werden.
- Die judenfeindliche Darstellung, die Kritik auslöst, muss vor Ort als Objekt beschrieben werden. Dazu hat man sich auf folgende Elemente verständigt: A) Beschreibung des historischen Phänomens, B) Einzeldarstellung in ihrer individuellen Geschichte und C) deutliche Bewertung und Einordnung.
- Die judenfeindliche Darstellung muss am Bauobjekt deutlich kenntlich gemacht werden. Dazu dient kompakte Beschriftung an der Darstellung.
- Darüber hinaus sind weitere vertiefende Informationen im Internet zur Verfügung zu stellen. Diese können z. B. über einen QR-Code abgerufen werden.
- Ferner sollen Fremdenverkehrsämter und Tourismusstellen weitergehende Informationen, z. B. bei Stadt- oder Kirchenführungen, vermitteln.
Konsens beim Runden Tisch war auch: Vor Ort soll in jedem Fall ein breiter Dialog zur konkreten Darstellung und ihrer Kommentierung geführt werden.
Judenfeindliche Darstellungen an vielen historischen Bauwerken
An zahlreichen historischen Bauwerken, sowohl Kirchen wie auch säkularen Bauwerken, finden sich Schmähplastiken wie die sog. „Judensau“, die z. B. Juden in Verbindung zu dem für sie unreinen Schwein gebracht und sie herabwürdigend diffamiert haben. Deutschlandweit sind es rund ähnliche 50 Darstellungen.
Auch andere Darstellungen etwa der „Synagoga“ im kirchlichen Kontext als Symbol für das Judentum sowie jüdische Grabsteine in christlichen Kirchen verlangen nach einer bewussten Form des Umgangs damit.